Donnerstag, 30. Januar 2014

Karl Bartos

Von 1975 – 1990, beachtliche 15 Jahre, war Karl Bartos fester Bestandteil von Kraftwerk, jenen Elektro-Pionieren, die heute fast nur noch im musealen Kontext, dafür aber weltweit und mit riesigem Erfolg auftreten. Er verließ Kraftwerk sehr wehmütig, wie ein Zeit-Online-Interview vermuten lässt:
Eigentlich wollte ich gar nicht weg von Kraftwerk, es fiel mir unglaublich schwer, da hab ich jahrelang dran gebastelt.“ 
Aus Frust über die Entwicklung der Band ging er dann schließlich doch. Nach ihm kamen nur noch zwei Alben. Das Remix-Album The Mix und Tour de France, von dem schon 1983 die gleichnamige Single veröffentlicht wurde, unter maßgeblichen kompositorischen Einflüssen Karl Bartos’.


Ich habe Kraftwerk schonmal Live gesehen, vor gut zwei Jahren in München, als sie ihre 3D-Show präsentierten. Ein unvergessliches und in Sachen Denkwürdigkeit bisher unerreichtes Konzert. Mir war bewusst, dass selbst Karl Bartos nicht mit diesem Ereignis konkurrieren könnte. Und so ging ich zu seinem Konzert am 26. Januar 2014 in die Wagenhallen mit dem festen Vorhaben, den Ex-Kraftwerker als eigenständigen Musiker zu betrachten, fernab von allen Kraftwerk-Vergleichen. Es gelang mir nicht, denn Karl Bartos sucht geradezu die Konfrontation mit seiner Ex-Band.

Als ich die Wagenhallen betrete ist die etwas zu gut beheizte Halle gefüllt mit ganz viel Luft und einigen 50- bis 60-jährigen Menschen, vorwiegend männlichen Geschlechts. Überall fällt das Wort „Kraftwerk“. Der Großteil der heute anwesenden Gäste ist wohl mit der Band aufgewachsen oder hat zumindest einen entscheidenden Teil seiner Jugend mit ihr verbracht. Die drei großen Bildschirme auf der Bühne imitieren rauschend schlechten Empfang. Vor ihnen steht ein Pult mit technischem Schnick-Schnack und mehreren Apfel-Klapprechnern. Die gab es zur Hochphase Kraftwerks auch noch nicht. Die Anordnung erinnert insgesamt deutlich weniger an ein Fließband, wie bei Kraftwerk, sondern, nunja, an eine Elektro-Band eben. Ein Eindruck, der auch während des Konzertes bleibt.

Zur Einführung in das Konzert läuft Karlheinz Stockhausens Gesang der Jünglinge. Danach betritt Karl Bartos mit seinen zwei Mitmusikern, Mathias Black und Robert Baumanns, die Bühne. Die ersten zwei Songs sind Kraftwerk-Songs. Damit habe ich nun gar nicht gerechnet. Nach anfänglicher Freude überschleicht mich schon bald ein unangenehmes Gefühl. Während die Gäste um mich herum am Jubeln sind, komme ich mir vor wie auf dem Konzert einer besseren Kraftwerk Coverband. Ich versuche, die elektronischen, lieb gewonnenen Klänge trotzdem zu genießen und zum Teil gelingt mir das auch. Das erste eigene Lied Karl Bartos’ des Abends zeigt Differenzen zu den alten Kraftwerk-Songs, die sich auch im weiteren Verlauf bestätigen. Wo Bartos’ Solowerke abweichen, klingen sie flotter und energischer, stellenweise schon fast wie die Pet Shop Boys, mit deren einen Hälfte, Neil Tennant, Bartos zeitweise für sein Projekt Electric tatsächlich auch zusammenarbeitete. Noch ungefähr die erste Hälfte des Konzertes dominieren die großen Nummern aus Bartos’ Kraftwerk-Ära, zwischen denen sich immer wieder seine Solo-Songs einreihen, fast als wolle er sich mit ihnen messen, oder zumindest klarstellen, dass sie ihm gehören. Dann, endlich, folgen mehrere seiner eigenen Stücke hintereinander. Die zweite Phase des Konzertes hat begonnen. Sie ist nicht frei von Kraftwerk, aber dominiert von Bartos’ eigener Musik, die viel zeitgenössischer klingt und mit Sicherheit auch eine Meute Jugendlicher zum gemeinsamen Tanzen mit ihren Vätern gebracht hätte, wären denn erstere anwesend gewesen. So tanzen eben die Väter alleine.

Karl Bartos reflektiert in diesen Liedern seine Zeit mit Kraftwerk, spielt direkt auf seine Ex-Band an, wie zuletzt in dem Lied Without a Trace of Emotion, das er auch an diesem Abend spielt. Eine künstlerische Aufarbeitung seiner musikalischen Vergangenheit, als wichtiger, prägender Teil einer der einflussreichsten Musikgruppen der Welt. Ein wehmütiger Rückblick, doch schwingt trotz allem immer der Stolz mit, teil von etwas Außergewöhnlichem gewesen zu sein. Was wäre Kraftwerk ohne Karl Bartos? Was wäre Karl Bartos ohne Kraftwerk? Es war wohl doch sehr naiv von mir zu glauben, ich könne Bartos heute differenziert von Kraftwerk betrachten. Zwischen der ehemaligen Band und dem ehemaligen Bandmitglied herrscht bis heute eine beachtliche, kreative Wechselwirkung.

Und so entlässt mich das Konzert doch mit einem guten Gefühl, wohlweißlich, dass ich nicht Opfer eines Kraftwerk-Auftritts für arme geworden bin, sondern einen rekonstruierten, kreativen Prozess miterleben durfte. The rise and fall of Karl Bartos, sozusagen. Wer hoch fliegt, fällt tief. Wobei sich Karl Bartos trotzdem äußerst gut aufgefangen hat. Da ist noch ganz viel Luft zwischen ihm und dem, was man als Absturz bezeichnet.

1 Kommentar:

  1. Was soll ich sagen! Ausgezeichneter Bericht. Wozu noch selbst schreiben ;) Von Blogger aufgefordert zu werden, den Beweis zu liefern kein "Robot" zu sein, erscheint durchaus passend. Cin cin.

    AntwortenLöschen