Montag, 10. Februar 2014

Die Nerven FUN Release Party

Was für ein Hype, der gerade um diese Band herrscht. Jens schwärmt schon seit Ewigkeiten von ihnen und auch die Presse spart nicht an Lobeshymnen. Ich wollte eigentlich schon seit langem auf eines ihrer Konzerte gehen, aber mir kam doch ständig etwas dazwischen. Eigentlich hatte ich auch an jenem Abend, dem 06. Februar 2014, so gar keine Zeit zum Konzert zu gehen, aber manchmal muss man sich eben die Zeit nehmen. Und wenn nicht jetzt, wann dann? In so kleinen Räumlichkeiten wird man die Band wohl lange nicht mehr erleben, auch wenn Claus Kullak vom gig-blog der Meinung ist, dass die Band davon lebt.

Früh, noch vor offiziellem Einlass, versammeln wir uns vor dem Schocken, denn die Nerven spielen im Keller des Clubs, dort, wo gerade einmal Platz für 80 Leute ist. Das frühzeitige Erscheinen lohnt sich. Viele Gäste müssen leider unvollendeter Dinge wieder umkehren, denn der Raum füllt sich rasch. Im Laufe des Konzertes werden sich die Nerven dafür entschuldigen. Ein Planungsfehler sei schuld daran. Ohne Probleme hätten sie wahrscheinlich auch die große Bühne im Eingangsbereich des Schocken benutzen können, der Laden wäre trotzdem voll geworden.

Sei's drum. Den Support spielt Angelo Fonfara. Ein talentierter junger Mann, der sich selbst und seine Musik leider nicht so ganz ernst nimmt. Er lässt sich von einem Sampler begleiten, brummt dadaistische Sätze und spielt dazu ekstatische Gitarrenriffs, während denen er auch mal versehentlich erwähnten Sampler gewaltsam zum schweigen bringen kann. Das ist auch eine Möglichkeit, einen Song zu beenden. In meinem Kopf erscheinen dazu Szenen aus James Whales' Frankenstein, mit Ralf Hütter von Kraftwerk als Dr. Frankenstein, der sich einen eigenen Jimi Hendrix bastelt. Klingt skurril? Gut! Angelo Fonfaras experimentierfreudige Spielereien nämlich auch. Das Potential zu einem sehr interessanten Künstler ist vorhanden. Seine Selbstironie stört nur leider etwas und wirkt eher wie überspielte Unsicherheit, die aber absolut nicht vonnöten ist.

Die Nerven werden mit Applaus empfangen und beginnen ihr Set mit einem Intro, gespielt mit zwei Bässen. Der physisch riesige Max Rieger verliert während dem Intro seinen Bass-Gurt, der ohnehin auf die größtmögliche Länge eingestellt sein muss, denn der Bass soll ja lässig auf Hüfthöhe hängen, was bei über zwei Metern Körpergröße wahrscheinlich kein leichtes Unterfangen ist. Gut, dass er nach dem Intro mit seiner Gitarre schrammeln kann, die wesentlich besser zu sitzen scheint. Julian Knoth wirkt von Anfang an sehr sicher und talentiert am Bass. Seine Riffs wirken komplex genug, dass es ihn nicht allzu sehr langweilt, gleichzeitig aber nicht so schwer, dass es ihm Mühe bereiten würde. Die Lässigkeit eines Bass-Spielers wohnt ihm auf jeden Fall schon inne. Kevin Kuhn wirkt an dem kleinen Schlagzeug etwas verloren, kommt aber von allen offenbar am schnellsten und intensivsten ins Schwitzen. Man merkt ihm den Kampf mit seinen Drums an.

Ich habe Freude an dem noisigen Punkrock, den die drei Jungs aus ihren Instrumenten zerren. Der Gitarrenverstärker fiept und kracht, die Lieder sind nicht zu ausgearbeitet, denn zu viel Perfektion wäre doch eher unpassend für eine Punkband, das haben die Jungs schon richtig erkannt. Die Band pflegt ihr Anti-Image sorgfältig. Und doch rechtfertigt die Musik nicht wirklich den Hype. Das alles ist zwar schön und gut, aber bei weitem nichts neues. Das Image ist sorgfältig umgesetzt, aber wurde schon tausendfach von anderen Bands variiert. Ich will nicht so recht daran glauben, dass der Erfolg der Nerven ausschließlich auf ihre Musik zurückzuführen ist. Auffällig ist ja auch, dass zur selben Zeit immer mehr Bands emportraten, die ähnliche Musik machten, oder zumindest in ihrer Art ähnlich sind. Messer, Trümmer, aber auch grim104 sind nur einige Beispiele. Künstler, die unzufrieden sind mit den Gegebenheiten, die nach Frustration und dem Drang nach Veränderung klingen. Offenbar herrscht da ein Bedarf nach dieser Musik in unserer Gesellschaft. Künstler die beißen, kratzen, unzufrieden sind, die keinen aalglatten Party-Pop mehr wollen, sondern hinterfragen, kritisieren und kommentieren. Sie üben einen enormen Reiz auf den Zuhörer aus, nicht zuletzt, weil "Underground" schon lange nicht mehr so gut, so radikal, und gleichzeitig so reif klang, besonders nicht in Deutschland.

Das Publikum ist entsprechend auch begeistert von der Show, will die Band eigentlich gar nicht mehr gehen lassen und zwingt sie zu zwei Zugaben. Mehr kann ein Publikum in dieser Größe und an diesem Ort eine Band wohl kaum feiern. Die pressfrischen Platten am Merchandise-Stand gehen weg wie warme Semmel. Ich kaufe mir ein Exemplar und lasse es signieren. Max fragt überrascht, ob mir die Show denn gefallen habe, worauf ich ironisch mit "Naja es war schon ätzend" antworte. Er fand das wohl nicht so komisch, mit einem "Ach was, es war super" versuche ich die Situation zu retten. Max schweigt, ich bedanke mich für die Unterschrift und mache mich vom Acker. Kommt wohl nicht so oft vor, dass ein Fan mit diesem Riesen scherzt. Aber wer in dieser Band spielt sollte das ab können, denke ich.

Es gibt also zur Musik dieses Mal recht wenig überraschendes zu sagen, die Nerven klingen genau so wie man es erwartet, aber ihre Konzerte bieten ein beeindruckendes Erlebnis. Da ist schon seit langem etwas im Gange in den dunkleren Ecken dieses Landes, ein stilistischer Verfall, der erst jetzt zum Vorschein tritt und der die kollabierende Spaßgesellschaft, all die Cros, Helene Fischers und ja, seit ihrem letzten Album auch die Fetten Brote, langsam aber sicher stürzen zu wollen scheint. Ob ihm das gelingt, bleibt abzuwarten. Will man Teil dieser Bewegung sein? Scheiße ja! Does the pope shit in the woods?

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